Vereinigung der Alt-Hietzinger
82. Ball am 28. Januar 2025

EIN ZORNIGER POET
OTFRIED KRZYZANOWSKI
Dichter
(* 25. Juni 1886 Starnberg/Bayern, + 30. November 1918 Wien)


Nur wenige Germanisten werden mit dem exotischen Namen des Otfried Krzyzanowski etwas anfangen können, geschweige denn je ein Werk von ihm gelesen haben. Sein Überleben in den fast okkulten Randbereichen der Literaturgeschichte dankt er den Beschreibungen der Wiener Caféhausliteraten der zwanziger Jahre, die ihn jedoch eher als seltsame Gestalt verewigten, denn dem Dichter wirklich ein Denkmal setzten. 

Das Leben dieses früh zugrundegegangen zornigen Genies lässt sich nur in groben Strichen nachvollziehen, vieles bleibt nach wie vor im Dunklen, obwohl sich eine Reihe von Schriftstellern mit ihm beschäftigt hat, die aber teils Unrichtiges ungeprüft weitertradierten. Es wird wohl noch gründlicherer Forschungen bedürfen, manches wird nie zu klären sein.

Otfried K. - nicht zufällig sei diese Abkürzungsform gewählt - wurde in Bayern als Sohn des Dr. Heinrich Krzyzanowski geboren, der als Schriftsteller und Übersetzer tätig war. Warum die Familie - Otfried besaß noch eine ältere Schwester Eva und einen Halbbruder Heinrich - nach Wien übersiedelte, ist unklar. Möglicherweise erhoffte der aus Böhmen stammende Vater in Wien ein besseres Fortkommen. Heinrich Krzyzanowski hatte ja in Wien studiert, gemeinsam mit seinem Bruder Rudolf hatte er in Wien Gustav Mahler kennen gelernt, der in späteren Jahren die beiden Brüder, die stets in Geldschwierigkeiten steckten, immer wieder unterstützte. 

Das erste Gymnasialjahr absolvierte Otfried noch in München, dann besuchte er 1899/1900 die Bürgerschule in der Lazarettgasse im 9. Bezirk. Vom Herbst 1900 bis Februar 1903 lässt sich sein Schulbesuch im Staatsgymnasium im 19. Bezirk in der Gymnasiumstraße nachweisen. Seine schulischen Leistungen waren überaus unterschiedlich, das eine Semester lieferte er vorzügliche Leistungen, das nächste Zeugnis wies ganz schlechte Noten auf. Der einzige Gegenstand, in dem er eigentlich immer gute Noten hatte, war die griechische Sprache, die er offenbar liebte. Seine Anpassung an den schulischen Alltag dürfte nicht die beste gewesen sein. Die äußere Form seiner Arbeiten wurde im Gymnasium im 19. Bezirk sogar mit "liederlich" bezeichnet. Anschließend setzte er seine Ausbildung als Privatist fort. Sein einziger Konnex mit dem Hietzinger Gymnasium bestand darin, dass er an diesem Institut seine Matura ablegte und zwar als Privatist. Ob die Eltern inzwischen in Hietzing wohnten, ob sie überhaupt regelmäßig in Wien ansässig waren, bleibt unbekannt. Möglicherweise war das Gymnasium in der Fichtnergasse eine der wenigen Schule, in der man als Privatist antreten konnte, denn aus den Jahresberichten ist jährlich eine ganze Reihe von Schülern - aber auch Schülerinnen - namhaft zu machen, die eine Externistenmatura ablegten. Otfried K. trat jedenfalls zum Sommertermin 1906 zur Matura an, konnte aber wegen eines "Nichtgenügend" in Physik nicht für reif erklärt werden. Erst nach Ablegung der Nachtragsprüfung wurde ihm mit 8. Februar 1907 am Hietzinger Gymnasium ein Reifezeugnis ausgestellt. Das Maturazeugnis weist in den übrigen Gegenständen keine glanzvollen Noten auf, lediglich in Griechisch war seine Leistung "lobenswert".

Zwischen 1907 und 1910 inskribierte er Kunstgeschichte an der Wiener Universität, brach aber nach dem Tod der Mutter 1909 sein Studium ab. Er schrieb Lyrik, kleine Geschichten, Skizzen und Aphorismen - insgesamt ein kleines literarisches Oeuvre. In einem Brief erwähnte er, dass bei zwei Wiener Bühnen Dramen aus seiner Feder eingereicht wären. Er hoffte, vom Schreiben leben zu können. So veröffentlichte er ab etwa 1913 laufend in den Zeitschriften "Die Pforte", "Der Ruf", "Der Merkur", "Der Anbruch" und "Der Friede". Konsequent hat er sich nie um die Publikation seiner Gedichte und Erzählungen gekümmert, er war eher lax und auch skrupulös bei der Auswahl der Texte. Wie er die nächsten Jahre verbrachte, wovon er tatsächlich lebte, ob er irgendwo arbeitete - all dies ist unbekannt. 

Überliefert ist die Schilderung seiner Person in Franz Werfels 1929 erschienenem Roman "Barbara oder die Frömmigkeit", in dem Werfel über Otfried K. als Gottfried Krasny berichtet. Werfel beschreibt ihn mit fasziniertem Abscheu als hässliches, aggressives und vergammeltes Genie, das von Caféhausgästen Speis und Trank sehr barsch einforderte, aber die Aufforderung, irgendeinen Auftrag zu übernehmen, um Geld zu verdienen, höchst rüde zurückwies. Verdreckt und zornig forderte er von den Erfolgreichen den Tribut für sich ein. Zweifellos war er schon vor Ausbruch des Weltkrieges krank, möglicherweise litt er an Tuberkulose, denn zum Militär wurde er nie eingezogen. Die Kriegsjahre verbrachte er als Clochard, als Aussteiger, der irgendwo in der Vorstadt ein kleines Zimmerchen mit wenigen Habseligkeiten sein Eigen nannte. 

Als er in den späten Novembertagen des Jahres 1918 tagelang dem gewohnten Caféhaus fernblieb und die dortigen Habitués sich wunderten, wo er denn wohl geblieben sei, ob er im "Central" oder im "Herrenhof" gesichtet worden wäre, machten sich einige der Dichterkollegen auf die Suche nach ihm. Es stellte sich heraus, dass er schwer krank und fast verhungert ins Allgemeine Krankenhaus gebracht worden war, wo er verstarb. Der Winter 1918 in Wien war bitterkalt und es herrschte eine verheerende Epidemie der Spanischen Grippe. Der heruntergekommene Poet hatte keine Kraft mehr, dem Hunger und der Grippe standzuhalten. Seine Caféhausfreunde sammelten 486 Kronen für ein gebührendes Begräbnis und begleiteten ihn auf dem letzten Weg. Franz Blei hielt bei der Beerdigung am 12. Dezember 1918 die Grabrede, bei der er - wie Werfel berichtet - konsequent den Vornamen des Otfried K. verwechselte und ihn mehrmals mit Othmar ansprach. Nach seinem Tod haben Fritz Lampl, Franz Werfel und Georg Kulka seine Zimmervermieterin aufgesucht und seine Papiere an sich genommen. Lampl nahm diese mit ins englische Exil, in seinem Nachlass in der Österreichischen Nationalbibliothek liegen sie heute als so genannter Kryptonachlass unter den Papieren Lampls. Teile davon wurden zwischen 1946 und 1948 in der Zeitschrift "Agathon" publiziert.

Zu seinen Lebzeiten erschien hin und wieder ein Gedicht oder eine kleine Erzählung in einer der damals sehr kurzfristig erscheinenden expressionistischen Zeitschriften. Erst nach seinem Tod erschien beim Kurt Wolff Verlag in Leipzig in der Reihe "Der jüngste Tag" sein einziger Gedichtband "Mein täglich Gift". Er enthält Lyrik eines begabten, verzweifelten, von Todessehnsucht und Bitternis erfüllten Menschen. Es war eine Generation, für die durch den Krieg Jugend und Tod so nah wie nie beieinander lagen. Otfried K. verzweifelte nicht nur an den eigenen Lebensumständen, er beklagte die Situation einer Generation, die für sich keine Zukunftsaussichten sah. Die Gedichte tragen Titel wie "Phantasia desperans", im Gedicht "Abend" wird dieses Scheitern an der Zeit offenkundig:

"Fremd ist Friede, fremd der Streit,
Wann entrinnen wir der Zeit?
Und kein Alter macht uns klug:
Fühlst der Seele Abendflug."

Wenige seiner Lebensumstände lassen sich aus seinen Gedichten deduzieren, es ist vor allem sein Scheitern an Verlegern oder Herausgebern, das ihn aufschreiend protestieren lässt. Dass er nicht zum Militär einrücken musste, während in jenen Jahren Tausende junge Leute im Krieg starben, beschäftigte ihn drängend. Im Gedicht der "Individualist" nimmt er dazu Stellung:

"Ein Weib zu suchen! Wozu? Das Geschäft
Besorgen noch immer hundert und aberhundert.
Sterben! Warum? Die Arbeit
Wird heute von tausend gesunden Männern getan.
Was kann ich Besonderes tun? Ohne Sorge sein."

Manche seiner Gedichte stehen ganz im Stiltrend der Zeit, expressionistischer pueriler Überschwang kontrastiert mit pessimistischen Reflexionen zum Tod. Einige seiner Gedichte sind von der zeittypischen Atmosphäre der Decadence geprägt. Einiges verrät große Begabung, Gefühl für Sprachbilder und tiefe Empfindsamkeit:

"Abschied.
Es ertrinken die Sterne
im tiefen Blau.
Des Morgens Kahn ziehn ferne
Schimmernde Segel,
Zeigen uns, wie unergründlich tief
Die schwindende Nacht ist."

Seine Beziehungen zu Frauen scheinen höchst distanziert, sie von ferne verehrend und - durchaus dem Stil der Zeit entsprechend - die freiwillige Askese dem verletzenden Refus vorziehend. Da ihn seine Zeitgenossen auch als eher hässlich und ungepflegt beschreiben, wird er bei den Frauen nicht gerade willkommen gewesen sein. Er kultivierte eine Haltung des sich Versagens, sich Fernhaltens und Bescheidens. 

Seine Lyrik ist oft von puritanischer Strenge, scheu, fast keusch, Naivität und scheinbare Abgebrühtheit stehen eng beieinander, Kitsch neben Kunst, Künstlichkeit neben Kunstfertigkeit. Die Sehnsucht nach Schönheit, nach Ästhetik und Ethik in Leben und Werk ist unleugbar. Nach seinem Tode wurden seine Gedichte von seinen Dichterfreunden immer voll des Lobes erwähnt, Ernst Krenek hat sogar das Gedicht "Erinnerung" vertont.

1930 schrieb seine Schwester Eva über Otfried in der "Prager Presse", wobei sie seine seltsamen Dichterfreunde beschuldigte, durch die Entfernung des Nachlasses ihn noch einmal getötet zu haben. Gegen Franz Werfel, dessen Buch ein Jahr zuvor erschienen war, wollte sie sogar einen Prozess anstrengen. Zustimmen wird man der Behauptung können, dass seine Dichterfreunde Otfried K.s mysteriöses Leben durch ihre sehr subjektiven Berichte zur Legende verformt haben. Egon Dietrichstein nannte ihn in einem Nachruf das "Skelett eines Menschen", der als "Gespenst der Hungersnot" in den Caféhäusern auftauchte. Was seine Zeitgenossen unausgesprochen empfanden, war zweifellos der Umstand, dass der Dichter und sein schäbiger Lebensstil zum Symbol einer dahinsterbenden Zeit wurden.

Über das seltsame Original Otfried K. berichteten u. a. noch die Autoren Anton Kuh, Franz Blei, Hans Flesch-Brunningen - der brigens ebenfalls das Hietzinger Gymnasium absolvierte - Rudolf Forster und Otto Grünmandl. 

Höchst seltsam und von sichtlich unterschiedlicher Qualität sind die literarischen Produkte seines Nachlasses. Natürlich ist nicht geklärt, wann die einzelnen Texte entstanden und ob es sich nicht um aus Pietät aufgehobene pubertäre Relikte handelt. Trotzdem verwundert die Diskrepanz zwischen guten Texten und offensichtlich ungelenken Versuchen, ein Thema zu bewältigen. Seine Handschrift in diesen nachgelassenen Papieren ist unausgeglichen, die äußere Form, wie seinerzeit kritisiert, "liederlich". Er schrieb in lateinischer Schrift, ein einziger Text ist maschinschriftlich übertragen. Korrekturen in dem einen oder anderen Text wirken, als wären sie von fremder Hand. Zu den Nachlasspapieren gehört ein Essay "Über die Gabe des Lügens", in dem er teils naiv, teils vorurteilsartig und recht unausgegoren zum inzwischen von der Soziologie mit einem Fachausdruck belegten Phänomen der Mentiologie Stellung nimmt. Bei den Geschichten "Der Höfliche" und "Der gestohlene Ring" handelt es sich um recht banale Versuche, mit der Zurückweisung als Dichter bzw. als liebessehnsüchtiger Jüngling fertig zu werden. Die Themen Einsamkeit und religiöse Sinnkrise kehren immer wieder. Eines der nachgelassenen Originalmanuskripte weist den Eingangsstempel einer Redaktion auf, es dürfte aber dem Autor zurückgesandt worden sein. 

Fritz Lampl, der ihn wohl mochte und seine Lyrik schätzte, schrieb über ihn: "Er hat nicht viel geschrieben, sein Herz war allzu schwer, allzu sehr verschüttet, gebrochen, und so ist sein Werk: Bruchstück." Oder: "Erfolg war ihm verdächtig, Würde lächerlich und Mammon Raub."

Über seine Persönlichkeit hat der Satz von H. C. Artmann wohl Gültigkeit: "Es gibt einen Satz, der unangreifbar ist, nämlich der, dass man Dichter sein kann, ohne auch irgendjemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben. Vorbedingung ist aber der mehr oder minder gefühlte Wunsch, poetisch handeln zu wollen."


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