(Aus
der Festschrift "100 Jahre Gymnasium Fichtnergasse 1897-1997",
Beitrag von Mag. Elisabeth Glatt, Direktorin der Fichtnergasse):
Ganz
neue Zusammenhänge entdeckt nicht das Auge, das über ein Werkstück
gebeugt ist, sondern das Auge, das
in Muße den Horizont absucht.
Carl
F. von Weizsäcker, Die Verantwortung der Wissenschaft im Atomzeitalter
100 JAHRE „FICHTNERGASSE“
von
einer Idee zur Realität
Die
Idee der Schulgründung hatte vor mehr als hundert Jahren ein Vater, dessen fünf
Söhne nicht im Wohnbezirk Hietzing das Gymnasium besuchen konnten sondern in
einen anderen Bezirk Wiens auspendeln mussten.
Er fand sich mit dieser Situation aber nicht einfach ab, sondern gründete
mit gleichermaßen betroffenen Freunden einen Verein, dessen Ziel, ein
Gymnasium in Hietzing zu errichten, mit Schwierigkeiten und trotz einiger Rückschläge
1897 konkretisiert wurde, indem zwei erste Klassen aufgenommen werden konnten.
Die Knaben mussten allerdings vorerst disloziert in der Diesterweggasse
3 unterrichtet werden.
In der kurze Zeit von drei Jahren wurde ein überaus stattliches Gebäude am
Standort Fichtnergasse 15 erbaut, das für seine Zeit sehr fortschrittlich
ausgestattet war
12
Lehrzimmer
1 Turnsaal mit 2 Vorräumen,
1 Reservezirnmer für nichtkatholische Schüler,
1 Bibliothekzimmer im 1. und 1Bibliothekzimmer im 2. Stock,
die Directionskanzlei,
1Conferenzziminer
1 Sprechzimmer,
einen durch 2 Stockwerke reichenden Exhortensaal mit 2 Vorräumen,
die Directionswohnung,
4 Säle für naturgeschichtliche und physikalische Sammlungen, 1 Arbeitsraum für
Physik,
1 Zeichensaal und
1 Galerie
1900/01 war das erste Schuljahr "im prächtigen neuen Heim", und am
20.9.1900 fand dort die Einweihungsfeier statt.
Am
16. 10. 1900 erfolgte die Schlusssteinlegung in Anwesenheit "unseres fast
allgemein verehrten Bürgermeisters"' (sc.
Dr. Karl Lueger), des Unterrichtsministers und von Mitgliedern der
Gemeinde- und Bezirksvertretung.
Die
"Die Fichtnergasse" war ein Gymnasium, das zunächst nur wenige
wirklich wollten, wie man aus den Worten des Vorsitzenden des Gründungsvereines
deutlich erkennen kann:
Gleich
zu Beginn unseres reinen Strebens schlugen die trüben Wogen hässlichen
Parteienstreites über uns zusammen; engherzig und misstrauisch wendete
sich die Einwohnerschaft unseres schönen
Bezirkes von uns ab; schon dem Erfolge
nahe, hatten wir mit Einflüssen schädlichen Unverstandes zu kämpfen; die
Bezirksvertretung legte uns Hindernisse in den Weg, und der Stadtrath gab seiner
Gegnerschaft unschönen Ausdruck; schließlich lässt auch der Zeitpunkt und
die knappe Form der staatlichen Merkennung daraufschließen, dass selbst die
Unterrichtsverwaltung unserer Wirksamkeit keinen besonderen Wert beimisst.
Hingegen wird der Wert des Werkes selbst wohl allen Factoren klar geworden
sein. "
"Die
Fichtnergasse" war ein Gymnasium, das vorerst nur wenige wirklich
wollten, das sich aber schon vom Beginn an die besondere Zielsetzung der Förderung
unbemittelter Schüler gab. In
dieser Gesinnung hieß es in jener Eröffnungsrede:
"Begrüßen
wir daher umso freudiger die Gelegenheit, uns selbst zu ehren, und
treten wir alle dem Vereine der Freunde
des Hietzinger Gymnasiums bei, die wir ja
sind. Verhelfen wir dadurch dem
Talente manches strebsamen Knaben zur Entfaltung,
dem sich in den Jahren jugendlichen Frohsinns als düstere Begleiter Sorge
und Entbehrung gesellen! Unterstützen
wir auf diese Weise unser Gymnasium
in der Erfüllung einer seiner schönsten Pflichten!.
Von einer ursprünglichen Realität zu neuen Ufern:
Die Idee des Guten als Richtschnur
Manche
Schulen in Österreich haben einen Wahlspruch.
Manche tragen einen besonderen Namen, z.B. Sigmund-Freud-Gymnasium,
Haydn-Gymnasium u.a. Wir haben einen Wahlspruch.
"Die
Idee des Guten'... ist die beste Wissenschaft".'
Was
hat dieser Wahlspruch "mit Schule" und mit unserer Schule zu tun? Genügt es uns, nur die Idee als Bild des Guten zu
vermitteln? Oder meinen wir wie
die Alten:
"
Wenn man in einen jungen Leib hinein echte Bildung sät, so lebt das und sproßt
das ganze Leben hindurch.
Platon
hat Erziehung ja noch tiefer gesehen:
"Diese
geistige Kraft in der Seele eine jeden und das Organ, mit dem jeder lernt,
das muß man mit der ganzen Seele aus
der Welt des Werdens herumdrehen, bis sie
fähig wird, den Blick in das Seiende, ja in das Hellste des Seienden,
auszuhalten; dies Hellste aber ist, wie wir sagen, das Gute.
"'
Wenn
wir wissen, dass wir die uns anvertrauten jungen Menschen aus dem Scheinbaren
und dem Alltäglichen "herum-wenden" sollen, dann muß das auch für
unsere Schule, das heißt: für uns als Schulgemeinschaft gelten.
Wenn wir ins Licht schauen wollen, können wir es da verantworten, zu
verharren und zu bleiben, was wir waren?
Wenn
wir sehenden Auges die Situation unserer Schüler betrachten, so müssen wir
bemerken, dass Elternhaus und Schule nicht mehr immer die Einheit bilden, die
wir erwarten, wünschen, erhoffen. Gar
nicht so selten betrachten Eltern die Schule ihrer Kinder als deren
"Job", in den sie eher selten eingreifen.
Sie delegieren so manche erziehliche Verantwortung und fordern vom
Staat, dass ihren Kindern die bestmögliche Bildung in der effizientesten
Weise vermittelt wird. Auch wenn
sie von Angeboten sprechen, meinen sie zumeist eine gesichert erfolgreiche
Durchführung. Ihr intensives Engagement in ihren Berufen lässt ihnen wenig
Zeit und wenig Energie, ihre Kinder in schwierigen Situationen zu begleiten
und zu unterstützen. Die Kinder
sind in unserer hochtechnisierten Informations- und Konsumwelt zu oft allein
gelassen, so dass sie den Kontakt zu den Eltern und anderen Erwachsenen, die
sie leiten könnten, mitunter nicht mehr suchen.
Sie leben oft schon für sich selbst.
Ihr Lernen ist, verbreiteten Verhaltensmustern in unserer Gesellschaft
entsprechend, auf kurzfristige Erfolge ausgerichtet. So wie viele Erwachsene denken sie an schnell umsetzbare und
gewinnbringend verwertbare Ausbildungsergebnisse.
Das
Gymnasium bietet jedoch die hohe, aber oft vergessene Chance in
weitausgreifender Muße - in Arbeit und Freude Bildungsqualitäten zu
entfalten. Da kann es nicht immer
maßgebend sein, wie gut sich mit den in
diese Bildung eingebundenen Qualifikationen viel Geld und viele Ehr'
verdienen lässt.
Die
Umwelt verändert sich immer rascher, sodass Schule und Umwelt oft nicht recht
zueinander passen. Informationen
in "bits and pieces", eine ungefilterte Vielfalt der Eindrücke
bringt dennoch erstaunlicherweise in manchen Fächern, wie zum Beispiel in den
lebenden Fremdsprachen, neue Fertigkeiten hervor.
Merkliche Ausfallserscheinungen bestehen allerdings dort, wo die Schule
Konzentration und die Fähigkeit, sich zu sammeln, dringend benötigt.
Haben
wir das große Ziel und die Realitäten erkannt, so ist es
"unsere
Aufgabe die besten Naturanlagen zu zwingen,sich jener Wissenschaft
zu widmen, die wir vorher als die höchste
bezeichnet haben: das Gute zu erschauen und jenen Aufstieg zu gehen; wenn sie
dann dort oben hinreichend gelebt haben,
dann dürfen wir ihnen nicht erlauben, was man ihnen heute erlaubt.
"Nämlich?
" - "Daß sie dort
bleiben und nicht wieder zu
jenen Gefangenen herab steigen
wollen und teilnehmen an ihren Mühen und Ehren, an den nichtigen wie den
gewichtigen.“
So
sehr hat sich das Umfeld der Schule gewandelt, dass wir uns im Sinne Platons
wirklich umwenden müssen, um das Gute schauen zu können und es zu tun und
auch, um anderen das Schauen und das Tun zu ermöglichen.
Wir stoßen dabei aber immer wieder an Grenzen, vielleicht öfter auf
selbst gezogene als auf von anderswoher gemachte.
Den
Zwiespalt, das eine tun zu müssen und anderes zu wollen, das eine zu sollen
und anderes nicht zu dürfen, beschreibt Marianne Gronemeyer in ihrem
aktuellen Buch "Lernen mit beschränkter Haftung" allzu
pessimistisch.
"...es
handelt sich darum, daß der Schule zugemutet wird, von außen an sie
herangetragene, einander kategorisch ausschließende, paradoxe Ansprüche
gleichzeitig zu bedienen. An
dieser Aufgabe kann man nicht wachsen, daran kann man
nur verrückt werden oder zugrunde
gehen.
Wollen
wir weder verrückt werden noch zugrunde gehen, so müssen wir uns in den
Widersprüchen zielbewußt weiterentwickeln. Die Wünsche der Elternschaft und der Jugend sind allemal zu
respektieren. Deshalb sind wir
z.B. das Wagnis der Führung einer Integrationsklasse eingegangen.
Deshalb wird unsere Entwicklung in Richtung auf vermehrten modernen
Fremdsprachenunterricht weitergehen. Wir
stehen dem Schulversuch "Französisch ab der 3. Klasse" nicht mehr
negativ gegenüber und werden 1997/98 (im 101. Jahr unseres Bestehens)
erstmals sowohl Latein als auch Französisch in der Unterstufe unterrichten.
Ebenso werden wir den Naturwissenschaften und den modernen Technologien
in der Oberstufe mehr Raum geben. (Eine entsprechende Homepage für das BG 13
im Internet ist in Arbeit.)
Das
"Herumwenden" des Lernenden soll aber auch heißen, dass nicht die
wiedergegebene Stoffmenge das entscheidende Kriterium für die Qualität der
Bildung ist, sondern die Fähigkeit, die Aufgabe und ein gutes Stück
Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen. In diesem Sinn stehen wir vor einem Prozess, in dem sich die
Lehrer stärker zurücknehmen zugunsten der Eigentätigkeit der Schüler, der
Mitverantwortung für die Lerninhalte und Selbstbestimmung und für den je
eigenen Weg zur persönlichen Selbstbestimmung.
Warum sollten wir warten, bis uns die Schulbehörde etwas vorgibt?
Warum
legen wir unsere Leitlinien nicht schon jetzt selbstbestimmt fest?
Sollten wir zu lange zuwarten, könnte es sein, dass wir nur noch
reagieren dürfen, wo wir bei rechtzeitigem Engagement agieren könnten.
Gar
nicht platonisch hat sich in unserer Zeit Mahatma Gandhi zum Grundproblem
unseres menschlichen Seins geäußert:
"Schlecht
und Gut sind relative Begriffe. Was
unter bestimmten Bedingungen gut ist, kann schlecht oder sündhaft
werden, wenn die Bedingungen sich geändert haben. "
Dieser
seiner Wahrnehmung werden wir uns nimmermehr entziehen dürfen.-
Zum
Ausklang unserer Hundertjahrfeier werden wir als Europäer nicht nur unsere
Bundeshymne, sondern auch Schillers "Ode an die Freude" singen:
"Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt." Jugend -
Elternhaus - Schule, eine vorherrschende Modeode hat sie geteilt.
Die Schule, unsere Schule, kann es mit Bedacht und Engagement
unternehmen, das zu verbinden, was derzeit auseinander zu fallen droht.
Lassen wir uns dazu "verzaubern"! Begeistern wir uns dafür!"
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